Nikolai Erdman

Der Selbstmörder

Böse Komödie

Premiere im Rahmen der Murnauer Kulturwoche am
29. April 2023

MAI: So 07.05. | So 14.05. | Fr. 26.05. | So 28.05.
JUNI: Sa 10.06. | So 11.06. | Fr 16.06. | So 18.06.

Beginn jeweils 19:30 Uhr

Kultur- und Tagungszentrum Murnau

Ödön-von-Horváth-Platz 1
82418 Murnau

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FOTO: BARBARA JUNGWIRTH (KLICK)

Über das Stück

Als Semjon Jedermann wütend schrie und sagte: „Ich will nicht sterben!“ wurde sofort ein „Gericht“ gegen ihn gebildet, sie beschuldigten ihn des Hochverrats und zwangen ihn zum Tode…!

Das Theaterstück, wie es von Erdman geschrieben wurde, trägt viele Schlussfolgerungen und Interpretationen.
Dieser Satz bildete die Grundlage meiner Bearbeitung des Stücks.

Erdman schrieb dieses Stück 1928 und es wurde zu seinen Lebzeiten weder veröffentlicht noch aufgeführt. Der Grund dafür war, dass Stalin mit dem Stück unzufrieden war, ihn kritisierte und Erdman daraufhin nach Sibirien verbannt wurde!
Um Ihren Mann zu retten, bittet Maria eines Nachts ihren Nachbarn Alexander ihr beim Öffnen der Türe zu helfen. Von nun an sollte ihre Situation nicht länger eine Familienangelegenheit sein.
Schon bald stehen Vertreter verschiedenster Interessensgruppen und Parteien auf der Matte, die Semjons nunmehr vollmundig angekündigten Freitod als Märtyrertod für ihre Sache vereinnahmen wollen. Deshalb soll Semjon sein Leben wahlweise für eine Machtbeteiligung der Intellektuellen, die Religion, das Geschäft oder einfach zu Ehren von Cleopatra lassen.
Als Semjon Aristarch begegnet, spürt er zum ersten Mal den Wert seines Lebens, beziehweise den seines Todes.
Die Aussicht, nach seinem baldigen Ableben zum Nationalhelden aufzusteigen, schmeichelt dem armen Semjon, der sich einverstanden erklärt.
So beginnt er seine Reise auf der Suche nach seinem Wert innerhalb eines „globales System“ das bereit ist, Individuum unter den Rädern ihrer großen Errungenschaften und Anliegen zu unterdrücken.

 

Samir Yacoob

Warum Despoten den Humor fürchten

von Elisabeth Tworek

„Die internationale Lage …. Was ist das für eine Lappalie gegen die Lage eines einzelnen Menschen.“

Nikolai Erdman, Der Selbstmörder

Die schwarze Komödie „Der Selbstmörder“ beginnt mit einem Ehestreit um eine Leberwurst und endet mit dem Tod des Hauptdarstellers Semjon. Weil Maria befürchtet, dass ihr arbeitsloser Ehemann sich aus Scham umbringen könnte, holt sie die Nachbarn zu Hilfe. Doch jeder Nachbar will Semjons Selbstmord als Statement für die eigenen Interessen ausschlachten: für Religionsfreiheit, für Meinungsfreiheit, für Romantik, für die Fleischindustrie. Durch suggerierte Gründe für Semjons Selbstmord soll ein Märtyrer für verschiedenartigste Ziele geschaffen werden. Da ist etwa Aristarch, Vertreter der alten russischen Intelligenz, der den Tod Semjons als „Lösung“ für die Intelligenz beim Aufbau des neuen Staates benutzen will. Da ist Kleopatra, die fordert: „Erschieß dich um meinetwillen. (…) Stellst du dich auf die Seite der Seele, Semjon und erschießt dich um meinetwillen, verhilfst du der Liebe zur Wiedergeburt.“ Semjon selbst ist ein schlichter Geist, der von einer Karriere als großer Musiker träumt. Gerne wäre er ein Nationalheld; aber er ist zu feige, den Revolver abzudrücken. Lieber betrinkt er sich. Folglich legen die anderen sein Sterbedatum fest. Am folgenden Tag um 12 Uhr soll es soweit sein.

Nikolai Robertowitsch Erdman, 1900 in Moskau geboren und dort 1970 gestorben, schrieb das Theaterstück „Der Selbstmörder“ 1928 in der jungen stalinistischen Sowjetunion. Der Dramatiker und Textautor baltendeutscher Abstammung gehörte zu den Dramatikern um Wsewolod Meyerhold, erfindungsreicher Regisseur des Revolutionstheaters, dem Josef Stalin den Kampf ansagte. Die bolschewistische Oktoberrevolution von 1917 zur Befreiung der Massen vom Joch des Zarenreiches mündete in den Despotismus Stalins. Nach Lenins Tod 1924 wurde Stalin durch die systematische Beseitigung von politischen Gegnern Alleinherrscher der Sowjetunion. Stalin terrorisierte das eigene Volk mit Angst, Willkür und Schrecken, um die Menschen zu brechen. Die kommunistischen Staatsziele, eine neue Gesellschaft mit neuen Menschen zu schaffen, setzte er mit Deportationen, Zwangsumsiedlungen, Verfolgung, Terror und Hinrichtungen um. Die Theater zwang er, seine diktatorische Herrschaft zu rechtfertigen und zu rühmen. Die Schriftsteller sollten „Ingenieure“ der menschlichen Seele werden; der sozialistische Realismus wurde zwangsverordnet. Das Zentrale Spielplankommitee, die staatliche Zensurbehörde, verbot 1928 dem Wachtangow-Theater im historischen Zentrum von Moskau die Aufführung des „Selbstmörders“. Erst im Jahr 1982 konnte Erdmans Haupt- und Meisterwerk in der UdSSR aufgeführt werden. Warum eigentlich so spät? Was machte diesen Theaterstoff um einen Träumer und Versager für die Sowjetunion so gefährlich?

Das Theaterstück „Der Selbstmörder“ wurde von den Zeitgenossen als massive Kritik am Sowjetsystem verstanden. Weder die Charaktere noch der Stoff waren als Vorbild im Sinne des sozialistischen Realismus geeignet. Alles, was der Zensurbehörde heilig war, wird in diesem Stück bloßgestellt und verhöhnt. Die Charaktere sind alles andere als proletarische Helden. Das Paradies der klassenlosen Gesellschaft ist mit ihnen nicht zu schaffen. Als Teil des Kollektivs lassen sie sich nicht auf ein vorgegebenes Staatsziel hin dressieren, sondern sie haben eigene Ziele im Kopf. Für ein von oben verordnetes Ideal wollen sie nicht sterben, schon gar nicht den Heldentod: „Was glaubt ihr denn, wenn man einem Menschen sagt: „Wir haben Krieg! Der Krieg ist erklärt!“ Was meint ihr, wonach der Mann fragt? Denkt ihr, er fragt: „Mit wem haben wir Krieg, warum, für welche Ideale?“ Nein, er fragt: „Welcher Jahrgang wird eingezogen?“ Auch Semjon möchte nicht für ein Ideal sterben, er will einfach nur leben. Er lässt sich von niemandem etwas vormachen und zieht sein kleines Leben einem angeblich großen Tod vor. Am Ende des Stückes tritt er mutig für sich selber ein. „Was soll das! Ich will nicht sterben! Nicht für euch, nicht für die andern, nicht für die Klasse, nicht für die Menschheit, nicht für Maria. (…) Angesichts des Todes aber, was kann mir da lieber, näher, verwandter sein als meine Hand, mein Bein, mein Bauch?“ Wie in allen Diktaturen regierte im Stalinismus die pure Angst. Erdman spricht das offen an, wenn Semjon erst durch den Tod zu einem freien Menschen wird. Allein durch die Absicht, sich selber ums Leben zu bringen, hat er vor niemandem mehr Angst: „Ich brauche niemanden mehr zu fürchten. Nie-man-den! Was ich will, das tu ich auch. Ich sterbe ja sowieso. Versteht ihr? (…) Zum ersten Mal im Leben habe ich vor niemandem Angst. (…) Ich kann alles machen. Was ich will, das tu ich auch.“ Diese Art von Selbstermächtigung fürchten Machthaber in allen Diktaturen der Welt. Das Einstehen für die eigene Überzeugung beginnt damit, seine Meinung frei und offen zu äußern. Doch gerade dieses Menschenrecht wurde im Stalinismus strengstens unterbunden und verfolgt. Aristarch legt den Finger in die Wunde, wenn er sagt: „Blicken Sie auf unsere Intelligenz. Was sehen Sie? Sehr viel. Was hören Sie? Nichts. Und warum hören Sie nichts? Weil sie schweigt. Warum schweigt sie? Weil man sie zwingt zu schweigen.“ Erdman bietet seinen Zeitgenossen die Möglichkeit, sich mit den Sehnsüchten der normalen Bürger, wie grotesk sie auch karikiert werden, gegen die Sowjetbürokratie zu solidarisieren. Dass in der jungen Sowjetunion auf der Bühne ein Satz wie: „In unserer Zeit können nur Tote aussprechen, was die Lebenden denken!“, nicht fallen durfte, zeigt von Beginn an ihren diktatorischen Charakter.

Es drängt sich die Frage auf, worin die Allgemeingültigkeit und Aktualität dieses fast 100 Jahre alten Stoffes liegt. Warum wird „Der Selbstmörder“ heute noch auf renommierten deutschsprachigen Bühnen wie im Burgtheater Wien und im Münchner Volkstheater gespielt? Bei Nikolai Erdman steht der Mensch im Mittelpunkt und die Frage, worin der Wert jedes einzelnen Menschen für die Gesellschaft liegt. Ganz normale Bürgerinnen und Bürger mit eigenen Sehnsüchten und Unzulänglichkeiten bevölkern die Bühne. Sie streben nach dem persönlichen Glück, nach Geld, Vergnügen und kleinen Fluchten. Auf die Frage von Kleopatra: „Ich stelle mir alles immer gleich plastisch vor: Diktatur, Republik, Revolution … Sagen Sie bitte, wer will das alles?“ bekommt sie zur Antwort: „Wer das will? … Ich bin mit fast allem einverstanden, was darin geschieht. Ich möchte nur ein kleines bisschen mehr. Ich möchte im Pelz, in der Steppe, im Schlitten, zum Glockenklang während der lichten Frühmesse, den grauen Filz im Nacken, umgeben von Zigeunern, den Lieblingshund im Arm, die vielen Seiten meiner unermesslich großen Heimat durchmessen.“ Das Publikum erfährt, was diese Menschen umtreibt, wofür sie brennen, was ihnen Freude bereitet, wovor sie Angst haben. Das Leben dieser Menschen wird so dargestellt, wie es ist, und nicht, wie es gemäß der staatlich verordneten Ideologie sein sollte. Dafür würzt Erdman sein Theaterstück mit jeder Menge schwarzem Humor. Er hält dem Publikum einen Spiegel vor. Indem Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden, wächst die Chance zur Selbsterkenntnis. Bisweilen bleibt einem das Lachen im Halse stecken. In düsteren, aussichtslosen Zeiten spendet Humor Trost und schafft für einen Augenblick Distanz zu sich selbst und zu anderen. Gerade wenn man machtlos ist, kann ein befreiendes Lachen Mut machen. Und gerade dieses Lachen bekämpfen Despoten und Diktatoren in aller Welt, wie sie überhaupt die Kraft der Kunst und Literatur mit allen Mitteln bekämpfen.

Für Nikolai Erdman hatte sein Mut zum schwarzen Humor gravierende Folgen. Mit gerade einmal 28 Jahren war seine Karriere als Theaterautor zu Ende, später wurde er für ein Jahr nach Sibirien deportiert. Heute gilt sein Werk als Klassiker des schwarzen Humors und als eines der besten Theaterstücke der Sowjetzeit. Dass Despoten und Diktatoren in aller Welt die Freiheit des Auslachens, vor allem aber die Freiheit des Wortes fürchten, macht die Aktualität von Nikolai Erdmans Komödie aus. Es ändert sich überhaupt nichts, wenn nicht jede(r) von uns bei sich selber anfängt und für die eigene Überzeugung eintritt. Doch der Preis dafür kann hoch sein. In Diktaturen kostet er bisweilen das Leben.

Dr. phil. Elisabeth Tworek

ist Literaturwissenschaftlerin, freie Mitarbeiterin beim Bayerischen Rundfunk und Autorin zahlreicher Bücher und Hörfunksendungen zu Literatur und Kulturgeschichte in Bayern.

  • Bis Mai 2023 leitete sie im Bezirk Oberbayern die Abteilung Kultur, Bildung, Museen, Heimat.
  • Von 1994 bis 2018 leitete sie die Monacensia im Hildebrandhaus, das literarische Gedächtnis der Stadt München.
  • In ihrem Geburts- und Wohnort Murnau ist sie Gemeinderätin und Referentin für Kultur, Heimat, Denkmalschutz (zusammen mit Dr. Michael Rapp).

FOTO: BARBARA JUNGWIRTH (KLICK)

Darsteller

profil_julia_schumann
Maria Jedermann
JULIA SCHUMANN
portrait_florian_perchtold
Semjon Jedermann
Florian Perchtold
portrait_anette
Serafima
ANETTE KÖHLER
portrait_christian_freude
Alexander
CHRISTIAN FREUDE
profil_monika_jung
Margarita / Geige
MONIKA JUNG
portrait_michael_fischer
Aristarch
MICHAEL FISCHER
profil_sara_strakeljahn
Kleopatra
SARA STRAKELJAHN
portrait_toni
Mönch
TONI SCHLÖGEL
portrait_andi_schneider
Mönch
ANDREAS SCHNEIDER

Mitwirkende

Organisation
Andrea Grabs
Maske & Kostüm
Julia Kinner
Bühnenbild & Technik
Samir Yacoob & Johannes Wölfle
Bühnenbau
Johannes Wölfle & Mirko Meisner

Regie

Samir Yacoob

FOTOS: CHRISTIAN KOLB (KLICK)

Samir Yacoob wurde im Irak geboren.
Er studierte an der Universität Bagdad und schloss dort sein Studium mit dem Bachelor im Fach Theaterwissenschaften ab. Zusätzlich erwarb er in Mosul sein Diplom in Schauspiel und Technik. Von 1988 – 2000 war Samir als Schauspieler und Theaterregisseur im Irak und in Jordanien aktiv.
Im Jahr 2001 kam er nach Deutschland. Er lebt seit 2003 in Murnau und hier hat er in den vergangenen Jahren sowohl als Regisseur als auch als Schauspieler verschiedene Bühnenstücke mit dem Jugendzentrum, dem Familienverband, dem Kindergarten, dem Gymnasium und der Pfarrgemeinde St. Nikolaus zur Aufführung gebracht.

Seit einigen Jahren ist er als Theaterregisseur für den deutsch-mesopotamischen Kulturverein e.V. und seit 2011 für das Freie Theater Murnau und dem Al Minassa – Die Bühne – Kulturverein e.V. mit großem Engagement tätig.

In Murnau wurden die Stücke des deutsch-irakischen Regisseurs zum Publikumserfolg

  • 2010 „Das Niesen“ Neil Simon
  • 2011 „Der Bockerer“ Ulrich Becher
  • 2011 „Ten Little Soldier Boys“ Agathe Christie
  • 2012 „Der letzte Tod des Jonathan Swift“ Grigory Gorin
  • 2012 „Die wilde Schustersfrau“ Lorca
  • 2013 „Die weiße Rose“ Lillian Groag
  • 2014 „Der Theatermacher“ Thomas Bernhard
  • 2015 „Oper il segreto di Susanna“ Ermanno Wolf-Ferrari in Ottobrunn und Planegg
  • 2015 „Biedermann und die Brandstifter“ Max Frisch
  • 2015 „Der Arzt wider Willen“ Moliere in Bad Kohlgrub
  • 2016 „König Lear“ William Shaespeare
  • 2017 „Maria Weint“ Nikolaus Remlinger
  • 2017 „Das letzte Band“ Samuel Beckett
  • 2018 „Ein Dorf steht Kopf“ nach „Der Revisor“ von Nikolaj Gogol
  • 2018 „Tod eines Handlungsreisenden“ Arthur Miller
  • 2019 „Föhn“ Julius Pohl
  • 2020 „Dorf ohne Männer“ Ödön von Horváth
  • 2022 „Baaz und schwarze Daune“ Markus Fenner
  • 2023 „Der Selbstmörder“ Nikolai Erdman

FOTO: BARBARA JUNGWIRTH (KLICK)

KONTAKT | IMPRESSUM

Veranstalter

V.i.S.d.P.
1. Vorsitzender Nikolaus Remlinger
k.remlinger@posteo.de

Samir Yacoob
Schloßbergstr. 14
82418 Murnau
T. 0 88 41 – 67 84 55

schauspiel-murnau.de

florian perchtold

kreativbüro [murnau | ohlstadt]

Hauptstrasse 20
82441 Ohlstadt
Germany

fon: +49 (0) 88 41 – 67 61 67

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